Nachgefragt: Interview mit Beate Dannoritzer von Diversity Care Wien
Seit 30 Jahren betreut unsere Apotheke Menschen mit HIV/AIDS und fast genauso lange arbeiten wir bereits mit dem Verein Diversity Care Wien (ehem. HIVmobil) zusammen. Der Verein wurde damals gegründet, um Menschen mit AIDS daheim pflegen zu können und feiert heuer sein 25-jähriges Bestehen. Aus diesem Grund haben wir Beate Dannoritzer, Geschäftsführerin des Vereins, zum Gespräch getroffen und sie nach der Weiterentwicklung des Vereins und Wünschen für die Zukunft gefragt.
Warum wurde diversity care Wien gegründet?
Diversity Care Wien ist aus „HIVmobil“ entstanden, das 1999 als Verein gegründet wurde. HIVmobil hat sich damals gegründet in der Zeit, als viele Menschen, oft sehr jung und oft mit schlechten Prognosen, auf den beiden großen HIV-Stationen im Otto-Wagner-Spital und im AKH auf SüdB lagen. Es gab einfach keine Möglichkeit, sie zuhause zu begleiten und zu pflegen, also auch bis zum Ende zu betreuen. Der Grund war, dass es damals einfach noch so viele Berührungsängste und Unwissenheit unter medizinischem Personal, also allen – Pflegenden und Ärztinnen und Ärzten – gab und so viel Unsicherheit bestand, dass die Menschen deshalb oft monatelang im stationären Bereich verblieben sind.
Daher kam Anfang der 90er-Jahre die Idee zum Projekt „HIVmobil“ auf. Die Initiative ging damals von den Pflegenden der beiden HIV-Stationen aus. Die kannten die Patient*innen und besuchten sie auch zuhause und sie dachten sich, es muss doch möglich sind, dass man diese Menschen entlässt und bis zum Schluss zuhause betreut und begleitet.
Wie und wann kam es dann zur Umsetzung des Projekts?
Damals gab es den berühmten „AIDS-Stammtisch“, der aus allen Menschen, Vereinen und Institutionen, die irgendetwas mit HIV/AIDS zu tun hatten, entstanden ist. Eben auch die Marien Apotheke Wien war von der ersten Stunde an dabei. Da waren die Selbsthilfegruppen dabei, da waren Pflegeorganisationen wie Caritas und Rotes Kreuz, kirchliche Organisationen, also private Initiativen von Schwestern oder Pfarrern, da gab es die Aidshilfen und Gery Keszler und so weiter. Christian Michelides, er leitete damals die Selbsthilfegruppe „Menschen und AIDS“, war die treibende Kraft dahinter. Er hat das damals koordiniert und die Arbeitsgruppe "extramurale HIV-Pflege" gegründet.
Ich war dann bei der Gründungsversammlung dabei und habe letztendlich die Leitung bzw. Geschäftsführung des 1999 gegründeten Vereins HIVmobil übernommen.
Warum wurde der verein 2016 umbenannt?
Der Vereinszweck war medizinische Hauskrankenpflege für Menschen mit HIV/AIDS anzubieten. Das Angebot der medizinischen Hauskrankenpflege ist aber eine begrenzte Sache, es ist keine Langzeitpflege. Denn diese Angebote gelten nur für 28 Tage nach Entlassung aus dem Spital. Nur in Ausnahmefällen werden diese verlängert. Wenn diese nicht mehr bewilligt wird, geht sie über in Hauskrankenpflege. Das ist dann die Langzeitpflege. Dieser Bereich wurde uns nach einer Weile dann ebenfalls bewilligt.
Schon 2006 habe ich aber gemerkt, dass es wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, nur HIV-positive Menschen zu betreuen, die Zielgruppe war einfach zu klein. Es hat dann noch länger gedauert, aber 2016 hat sich der Verein schließlich in Diversity Care Wien umbenannt, sich für zusätzliche Zielgruppen geöffnet und auch das Angebot erweitert.
Welche Zielgruppen werden heute von Diversity Care Wien betreut?
Wir betreuen nun zum Beispiel auch Menschen mit Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen, Menschen aus der Queer-Community, Menschen aus sozialen Randgruppen und Menschen aus anderen Kulturkreisen (Stichwort „kultursensible Pflege“). Seit langer Zeit ist auch klar, dass die psychosozialen Anforderungen an die Pflege und die psychiatrischen Krankheitsbilder innerhalb dieser Gruppen enorm am Steigen sind. Heute ist es so, dsass 30% aller Menschen, die wir betreuen, HIV-positiv sind, aber 80 oder 90% haben zusätzlich zu ihrer Grund-Erkrankung auch eine psychiatrische Diagnose.
Oft betreuen wir einfach auch ältere Menschen aus der Queer-Community, die gerne von Menschen gepflegt werden möchten, die diesbezüglich offen und sensibel sind.
Früher haben wir auch nur Pflegepersonen beschäftigt, jetzt gibt es in unserem Leistungs-Spektrum auch Besuchsdienst-Personen und Heimhelfer*innen.
Wie finanziert sich der Verein heute?
Die Finanzierung des Vereins war 20 Jahre lang nicht einfach. In den ersten Jahren hat der Life Ball dankenswerter Weise allein finanziert, ab 2004 - 2019 gemeinsam mit der Stadt Wien. Seit 2007 ist HIVmobil und später Diversity Care Wien eine anerkannte Einrichtung und Trägerorganisation der Stadt Wien wie Caritas und Co. Nach dem Ende des Life Balls 2019 hat die Stadt Wien die Finanzierung komplett übernommen. Das hat die Finanzierung (aus einer Hand) und den weiteren Ausbau unserer Angebote stark erleichtert. Ohne die jahrelangen Spendengelder vom Life Ball gäbe es dieses Angebot jedoch heute nicht.
Wie kommen die Personen zu Diversity Care Wien?
Etwa 70-80% unserer Kund*innen sind Erwachsenen-vertreten, das bedeutet, dass uns hauptsächlich diese Vertreter*innen kontaktieren. Die wissen inzwischen, dass es uns gibt und da spricht es sich auch herum, dass wir ein gutes Angebot haben. Aber natürlich wissen es auch die diversen Krankenhaus-Stationen, in denen die Menschen betreut werden.
Viele kommen auch aus Obdachlosen-Einrichtungen. Das Lighthouse Wien zum Beispiel, dort werden ehemals obdachlose Menschen, mit oder ohne HIV, aber fast immer mit Suchterkrankung, betreut. Die Menschen betreuen wir auch dort vor Ort. Wir gehen zum Beispiel auch ins Neunerhaus oder ins Franziska-Fast-Haus. Wir sind da gut vernetzt und auch sehr aktiv. Dort sind eben oft Menschen, die HIV-positiv, aber nicht compliant (Anm.: nehmen ihre Medikation nicht regelmäßig) sind. Das bedeutet, das sind dann auch die Menschen, die noch AIDS bekommen, denn alle anderen, die eine wirksame Therapie einnehmen, entwickeln in der Regel ja kein AIDS mehr.
Wie wirkt sich heutzutage noch die Diskriminierung HIV-positiver Menschen auf die Pflege aus?
Also am Anfang war es ganz schlimm. Sogar die Pflegepersonen und Ärztinnen und Ärzte, die auf den HIV-Stationen gearbeitet haben, wurden damals gemieden und diskriminiert.
Dann hat sich das langsam gewandelt, etwa auch durch den Life Ball, der ja da viel Aufklärungsarbeit geleistet hat. Dann hieß es, dass Menschen mit HIV/AIDS auf den Stationen und im Pflegebereich nicht mehr diskriminiert werden dürfen. Das war schon ein großer Schritt, dann konnte man das ja auch anprangern, wenn man diskriminiert wurde.
Tatsache ist aber: Pflegende erzählen mir auch heute noch, dass sie die Menschen nicht ins Spital bekommen, weil diese Angst haben, dort wieder schlechte Erfahrungen zu machen. Das betrifft aber vor allem solche Menschen, die zum Beispiel zusätzlich noch eine Suchterkrankung haben. Bis heute kann man sagen, dass jemand mit einer HIV-Infektion plus einer Abhängigkeitserkrankung plus schlechtem sozialen Status nicht gleich behandelt wird. Sie werden auch immer sehr schnell wieder nachhause bzw. zu uns geschickt.
Welchen Wunsch hast du für die Zukunft?
Aufgrund des Generationenwechsels und verbesserter Ausbildungen bessert sich meiner Meinung nach auch die Diskriminierungs-Situation im Gesundheitsbereich. Das wird auch in der Krankenpflegeausbildung mittlerweile stark und anders thematisiert.
Der Wunsch, den ich lange hatte, nämlich, dass unser Angebot irgendwann nicht mehr gebraucht wird, den habe ich mittlerweile nicht mehr. Denn ich habe auch erkannt, dass es dieses differenzierte und spezialisierte Angebot braucht. Und die Nachfrage explodiert. Ich wünsche mir für die Zukunft auch eine betreute Wohneinheit und ein Ehrenamts-Angebot, also, dass wir auch Ehrenamtliche aufnehmen können. Das ist einfach aus Zeitgründen noch nicht passiert.
Und natürlich trifft uns auch der Pflegenotstand hart. Wir sind ständig auf der Suche nach Pflegepersonen und wir sind darauf angewiesen, dass sie bereit sind, in der mobilen Pflege zu arbeiten. Dieser Arbeitsplatz wird leider viel zu selten gesucht. Dabei ist es eigentlich eine tolle Möglichkeit, sehr flexibel und eigenverantwortlich zu arbeiten. Mittlerweile haben wir auch eine Case Managerin, die vorwiegend im Home Office arbeitet. Also ich hoffe, dass sich diese Situation bald bessert. Also hier der Aufruf: Personen, die an Diversity Care-Pflege interessiert sind, sind herzlich willkommen und können sich gerne bei uns melden!
über Diversity Care Wien
Der Verein Diversity Care Wien bietet medizinische Hauskrankenpflege, Hauskrankenpflege, Heimhilfe, Heimhilfe Sozialpsychiatrie und Besuchsdienste an. Die Angebote richten sich vor allem an
- Queer l(i)ebende Menschen
- HIV-positive und an AIDS erkrankte Menschen
- Menschen mit aktuellen oder ehemaligen Abhängigkeitserkrankungen
- Menschen mit psychischen/psychiatrischen Erkrankungen
- Menschen mit dem Bedarf an kultursensibler Pflege
Wer Bedarf an einem der Angebote hat, kann sich direkt an die Pflegehotline +43 699 194 45 333 wenden. Wer sich als Pflegeperson, Heimhilfe oder Besuchsdienst bewerben möchte, kann sich direkt unter bewerbung@diversitycare.wien an Diversity Care Wien wenden. Die Ansprechpersonen sind Manuela Springer und Barbara Waldner.